»Von der Idee zum Bild«

Sahar Zukerman im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Wie kommst Du zu einem Bild? Oder anders gefragt: Was ist dein Ausgangspunkt, wenn Du ein Bild beginnst: Suchst Du Form, Komposition und Farbe für ein Thema oder suchst Du nach Metaphern für eine Idee?

Sahar Zukerman: Es gibt Bilder, deren Ursprung rein visuell ist. Also Farbe, Form oder Komposition können Ausgangspunkt eines Bildes sein. Aber auch ein Gegenstand kann zu einem Bild führen, wenn dieser für mich persönlich oder auch allgemein mit Bedeutung aufgeladen ist. In der Birds Serie habe ich Raben gemalt. Raben sind für mich die Materialisation eines Gefühls, nämlich der Angst vor dem Dunkeln. Das Dunkel steht hier nicht nur für sich selbst, sondern für alles Ungewisse, Undurchschaubare und für das Unbewusste. Die Raben sind dunkel und bedrohlich, zugleich aber auch schön und majestätisch in ihrem blau-schwarz glänzenden Federkleid.

Manchmal, wie in der St. George Serie, suche ich Metaphern, um eine Idee auszudrücken. Ich habe lange nach einer Metapher gesucht, um Männlichkeit und Heldentum auszudrücken. Schließlich bin ich auf St. George (Hl. Georg) gestoßen, für mich der Ursprung von Heldentum überhaupt. Den männlichen Aspekt habe ich über das Militärischen ins Bild geholt. Die St. Georges, in meiner Darstellung sind es ja oft mehrere, tragen Polizei- oder Militäruniformen, sind also als Teil der Exekutiven eines Landes oder Staates zu erkennen. Bei St. George and The Dragon war der Ausgangspunkt thematisch. Ich konnte mit der Serie aber nicht beginnen, bevor ich mich nicht zuvor mit den Motiven vertraut gemacht, mit ihnen gespielt hätte, um sie kennen zu lernen. Ein anderes Beispiel ist die Zelt Serie. Diese fing anders herum an. Ich wollte einfach Zelte malen. Erst nachher habe ich verstanden, welchen Bezug ich zu diesem Motiv habe. Es geht darum, keinen festen Grund, kein richtiges Zuhause zu haben. Ein Gefühl, dass ich intuitiv durch die Zelte ausgedrückt habe. Verstanden habe ich es allerdings erst später.

Bevor Du ein Bild beginnst, legst Du eine Farbskala an. Du definierst also, in welchem Farbraum und aus einzelnen Farbschattierungen ein Bild aufgebaut ist. Warum machst Du das?

Ich mache das nicht immer. Manchmal mache ich es so, manchmal nicht.

Gut. Aber wenn Du das machst, warum tust Du das und malst nicht einfach drauflos?

Wenn ich zuvor keine Farbskala anlege, habe ich eine ganz präzise Idee, wie das Bild am Ende aussehen soll. Habe ich diese nicht, kann eine Farbskala dazu dienen, eine Art Gerüst zu errichten. Wie es in der Musik einen Notenschlüssel und eine Tonarten gibt, so lege ich eben eine Farbskala an. Ob ein Stück in Dur oder Moll geschrieben ist, bestimmt die grundlegende Stimmung. Bei meinen Bildern ist das auch so.

Heart of Darkness, Farbskala

Musik wird ja oft auch mit Mathematik in Zusammenhang gebracht. Die Kunst ist da freier in der Formenwahl. Kann man sagen, dass Du dich mit dem Anlegen einer Farbskala selbst beschränkst?

Ich denke, eher das Gegenteil ist der Fall. Man wird für sich selbst berechenbarer und kann dadurch sich selbst mehr reflektieren und verstehen, was ja auch eine Form der Freiheit sein kann, die vor allem eine noch größere Freiheit nach sich zieht. Um noch mal auf den Sinn des Farbspektrums einzugehen: Verlässt man innerhalb eines Bildes ein gewisses Farbspektrum oder sagen wir Lichtspektrum, sieht das Bild unnatürlich aus, es kippt. Vor allem bei großen Formaten ist dies dann schwierig. Bei kleineren Formaten kann man die Natürlichkeit wieder herstellen, indem man die Farbgebung ändert und damit harmonisiert. Bei großen Bildern würde dies sehr lange dauern, weshalb es besonders wichtig ist, von vornherein alles gut zu planen. Letztlich ist schließlich auch die Farbgebung Teil der Komposition, genauso wie die Formen und deren Position im Raum, der Rhythmus des Bildes. Nur das Thema ist natürlich etwas anderes.

o.T. (the Machine), Öl auf Leinwand, 115x100 cm, 2014

Auffällig ist, dass ein bestimmter Blauton, ich nenne ihn mal „Royalblau“, häufig in deinen Bildern auftaucht. Hat diese Farbe eine besondere Bedeutung für dich? Als Beispiel möchte ich o.T. (the Machine) anführen. Hier hast Du diesen Blauton mit einem Silber-Chrom-Ton kombiniert. Im Prinzip sind das die gleichen Farben, die man häufig in Zusammenhang mit Kronjuwelen findet. Ist diese Assoziation beabsichtigt oder hat für dich dieser Blauton eine völlig andere Bedeutung?

Das frage ich mich selbst immer noch. Aber ich denke, das ist eine Gefühlssache. Ich kann nicht sagen, dass Blau eine bestimmte Bedeutung für mich hat, es ist eher eine ambivalente Angelegenheit. Zum einen empfinde ich Blau als eine angenehme Farbe, zum anderen kann blau aber auch extrem düster sein, vor allem wie ich die Farbe verwende. Das soll nicht heißen, dass das mit anderen Farben nicht möglich wäre. Ich jedoch verwende Blau, obwohl ich nicht sagen könnte, dass Blau meine Lieblingsfarbe ist. Blau in all seinen Schattierungen, von einem sanften, umarmenden Blau bis zu einem tiefen, düsteren in die Tiefen gehenden Blau. Wann und wo genau das angefangen hat, kann ich schlecht sagen. Es ist immer ein Prozess.

Traditionell wird dieses Königsblau aber oft in Verbindung mit Silberschmuck gebracht. Gegenseitig scheinen sich diese Farben positiv zu ergänzen. Metaphorisch gesprochen adeln sich diese Farben gegenseitig.

Das mag sein, aber bei dem Bild das Du als Beispiel genannt hast, o.T. (the Machine), wollte ich einfach nur unfassbare Kälte zeigen. Von der Farbigkeit und Komposition ist es das kälteste Bild, das ich je gemalt habe. Von der Farbe Blau heißt es, dass sie die jüngste unter den Farben sei. Lange Zeit gab es kein Wort für Blau. Daher spricht Homer von einem weinroten Meer und in der ganzen Odyssee kommt kein einziges Mal die Farbe Blau vor. Das soll daran liegen, dass blaues Pigment erst relativ spät hergestellt werden konnte. Das heißt also, dass wir erst dann Worte für etwas gebrauchen, wenn wir es auch produzieren können.

Sahar Zukerman mit Vater und Cousins, Cousinen

Der Kampf des Heilige Georgs gegen den Drachen entstammt der christlichen Mythologie, die Medusa-Sage dem griechischen Kulturkreis und der Golem ist ein Erzählung aus der jüdischen Tradition. Sind das alles Einflüsse, die dich gleichermaßen geprägt haben oder wie kommt es, dass Du dich Metaphern unterschiedlicher Kulturkreise und -epochen bedienst?

Ja, das alles hat mich geprägt. Vielleicht liegt es an der Art und Weise wie ich aufgewachsen bin. Ich bin der Meinung, wenn Geschichte interessant ist, dann hat sie auch eine Relevanz und heute können wir mit jedem Material arbeiten. Eine Zeit lang hatte ich auch die Idee, mit den Erzählungen aus 1001 Nacht zu arbeiten. Es ist also nicht der Fall, dass ich denke, ich muss mich an die jüdische oder an die westliche Tradition halten. Das überhaupt nicht. Eine Geschichte muss mich anziehen und mich inspirieren.

Heart of Darkness, Kompositionskizze

Gibt es klassische Kompositionen, die in deinen Bildern eine Rolle spielen, Künstler an denen Du dich orientierst und die Du aufgreifst und damit an ein kollektives Bildgedächtnis anknüpfst?

Ja. Aber die Vorbilder oder Anregungen ändern sich auch ständig. Mal nehme ich etwas aus einem Bild von Tizian, manchmal reagiere ich auf ein Bild aus den Medien. Bei St. George Slaying the Dragon, auf dem St. Georg mit der großen, goldenen Lanze auf den Drachen zureitet, habe ich die Komposition an Roger rettet Angelica von Ingres angelehnt. Für die Komposition von Heart of Darkness habe ich auf mein Lieblingsbild überhaupt zurückgegriffen, auf Tizians Bacchus und Ariadne. Und zwar habe ich nicht die Komposition übernommen, sondern ich habe mich inspirieren lassen. Es ist der Rhythmus des Bildes, den ich aufgegriffen habe. Also wie verhalten sich die Personen und Gegenstände, die Landschaft, die Formen und die Farben zueinander und in welchem dynamischen Verhältnis stehen sie. Natürlich ist meine Komposition weniger komplex. Aber die Wege, die die Augen in dem Bild nehmen, der Rhythmus eben, den habe ich von Tizian übernommen.