Von der Idee zum Bild

Daniel Müller Jansen im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Deine erste Doppelausstellung mit Petra Deta Weidemann heißt BUILDING A BEGINNING. Was beginnt und was wird gebaut? Und in welcher Weise wirken deine Werke mit denen von Petra Deta Weidemann zusammen?

Daniel Müller Jansen: Resilienz statt Inzidenz ist mein derzeitiges Motto. Nachdem ich, wie auch die meisten anderen Künstler, coronabedingt viel Zeit daheim und im Atelier verbringen musste, stehen die Zeichen gerade auf Neustart, auf Beginn. Diesen Neustart zusammen mit Petra zu wagen, ist mir eine große Freude. Sowohl Petra als auch ich beschäftigen uns mit Architektur im weiteren Sinne. Während Petra sich der Architektur durch Abstraktion in ihren Reliefs nähert und dabei ganz spielerisch die Wahrnehmungen der Betrachter herausfordert, findet meine Annäherung an die Architektur durch Fotografie statt, welche den Betrachter sowohl das Medium selbst als auch die Entstehung des Dargestellten hinterfragen lässt. Mit einem Augenzwinkern laden wir gemeinsam den Betrachter ein, Realitäten und ihr Abbild zu erkunden. Dies beinhaltet unter anderem auch das Thema Isolation. Die Corona Pandemie ist für uns alle eine Lehrstunde darüber, wie sich wahre Isolation anfühlen kann. Gewappnet mit diesen neuen, teils beklemmenden Erfahrungen, hat sich mein Blick auf Petras und meine Arbeiten jedenfalls verändert, und so nehme ich eine gewisse Isolation thematisch nun stärker in unseren Werken wahr. Das wird vielen Betrachtern vielleicht ähnlich ergehen. Petra und ich machen mit unserer Ausstellung aber einen Anfang. Nach der Isolation folgt daher nun auch wieder eine Annäherung.

Esther Niebel: In der Ausstellung zeigst du eine neue Serie „Great Expectations“, die du in Südafrika aufgenommen hast. Passend zum Ausstellungstitel zeigst du Architektur. Worum geht es dir? Was willst du zeigen?

Daniel Müller Jansen: Ausgangspunkt meiner fotografischen Serien sind meist sozio-politische Hintergründe. Dabei nehme ich Architektur stets als eine Art von Verpackung einer Gesellschaft und ihren jeweiligen Herausforderungen war. Architektur wird ja von Menschen für Menschen entworfen und so enthalten diese Verpackungen zwangsläufig auch immer eine Mischung aus Haltung, Manieren, Grundbedürfnissen und Status. Der größte Teil der südafrikanischen Bürger ist auch heute noch auf staatliche Unterstützung angewiesen – besonders beim Thema Hausbau. Der Serientitel „Great Expectations“ deutet bereits ein nahezu unlösbares Problem an und so zeigt die Serie Orte zwischen Warten und Erwartung – zwischen Sehnsucht und Konstruktion.

Esther Niebel: In der ebenfalls in Südafrika entstandenen Serie „overexposed“ sind auch Häuser aufgenommen. Nach welchen Gesichtspunkten wählst du deine Motive und Serien?

Daniel Müller Jansen: Die Serie „Overexposed“ zeigt sogenannte Gated Communities der wohlhabenden Bürger Südafrikas – also Orte von Gemeinschaft und gleichzeitiger Abgrenzung. Durch hohe Mauern, Elektrodrähte und Bewachung schützt sich dieser Teil der Bevölkerung. Der Titel „Overexposed“ spielt hierbei zugleich auf die fotografische Technik der Überbelichtung, als auch auf die Haltung der Bewohner dieser modernen Bollwerke an. Denn je massiver die Sicherheitsvorkehrungen dieser Orte werden, desto stärker werden auch die Ängste und Sehnsüchte ihrer Bewohner offenkundig und beleuchtet – sie enttarnen sich quasi selbst. Für diese, wie für alle meine Serien erstelle ich mir zunächst eine Art von Mantra – eine Liste, welche die wesentlichen Eigenschaften eines jeden Motives vereinen soll. Bereits beim Fotografieren überprüfe ich so, ob das eventuelle Motiv innerhalb der entstehenden Serie standhalten wird. Wenn man so will, murmele ich im Moment des Auslösens die entsprechenden Eigenschaften mantraartig vor mich hin, überprüfe und wäge ab.

Esther Niebel: Die architektonischen Landschaften die du abbildest, sind wie leergefegt. Was hat es mit der Abwesenheit des Menschen auf sich?

Daniel Müller Jansen: In meinen ersten beiden Südafrika-Serien „there is me & there is you“ und „Overexposed“ habe ich bewusst auf Menschen verzichtet, da ich keine Einzelschicksale aufzeigen wollte, wie dies in der Reportagefotografie üblich ist. Vielmehr wollte ich ein Porträt einer Gesellschaft und ihrer Haltung anhand von Architekturen und urbanen Strukturen erstellen. Zudem empfinde ich die gezeigten Orte in gewisser Weise auch als lebensfeindlich, was ich durch die Abwesenheit des Menschen betone. In meiner dritten Serie „Great Expectations“ sind aber nun durchaus auch Menschen enthalten (wenn auch nicht in der Auswahl für diese Ausstellung). Aber auch hier geht es nicht um Einzelschicksale, sondern vielmehr um ein Lebensgefühl, welches ich durch die gezeigten Situationen transportieren möchte.

Esther Niebel: Durch Überbelichtung erreichst du eine pastellige Farbigkeit, die deine Motive irreal, wie nachgebaut erscheinen lassen. In welchem Verhältnis steht diese Optik mit der politischen Dimension deiner Fotografien?

Daniel Müller Jansen: Künstlichkeit, Konformität und Modellhaftigkeit sind übergeordnete Themen in meinen fotografischen Serien. Aber es geht auch um Träume, Sehnsüchte und Bedürfnisse. Die pastellige Farbigkeit und Leuchtkraft meiner Bilder betont diese Themen inhaltlich, wie ästhetisch. Die Tradition deutscher Architekturfotografie ist stark durch die Schule Bernd und Hilla Bechers geprägt - deren sehr sachliche Betrachtungsweise möchte ich um eine emotionale wie soziologisch-analytische Ebene erweitern. Theoretisch handelt es sich bei meinen Bildern also um dokumentarische Aufnah- men, man könnte sie aber auch als Sozialstudie zu Themen wie Postapartheid oder Segregation begreifen, da sie eine Spaltung innerhalb dieser Gesellschaft porträtieren. Dabei wird der Bildgegenstand geradezu ikonisch überhöht - durch den Einsatz einer gezielten Überbelichtung bei gleißendem Sonnenlicht entstehen Architekturaufnahmen, die an die Farbwelten manieristischer Gemälde alter italienischer Meister erinnern, welche mich bereits im Studium stark inspiriert haben.

Esther Niebel: Bearbeitest du deine Fotografien nach? Wenn ja, an welchen Stellschrauben drehst du und was willst du erreichen?

Daniel Müller Jansen: Die Bearbeitung meiner Fotografien findet nur im Rahmen einer Retusche statt. Zum Beispiel werden Helligkeit und Kontrast im Sinne eines seriellen Gedanken angeglichen. Die dargestellten Orte sind aber immer real existent und werden nicht digital zusammengebaut. So zeige ich meine subjektive Sichtweise einer Realität oder ich lenke den Blick auf bestimmte Aspekte einer Realität, wenn man so will. Alle meine Fotografien besitzen eine malerische Qualität und visuelle Strahlkraft, gepaart mit einer sozio-politischen Ebene. Durch diese Ambivalenz werden meine Arbeiten oft als anziehend und irritierend zugleich empfunden. Zunächst wird der Betrachter durch die besondere Ästhetik und die Pastellfarben angezogen – auf den zweiten Blick werfen die Fotografien jedoch Fragen über die Hintergründe zu den gezeigten Architekturen und Strukturen auf.