Von der Idee zum Bild

Agnes Lammert im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Cattleya ist eine Orchideengattung. Siehst du einen Zusammenhang zwischen Orchideen und deinen Skulpturen?

Agnes Lammert: Was mir an Orchideen gefällt, sind ihre spiegelsymetrischen Blüten und die starke, fleischige Konsistenz der Blütenblätter. Symetrie ist etwas, das unsere eigenen Körper und damit auch unsere Weise, die Welt zu betrachten, sehr stark bestimmt. Ich glaube, dass Orchideen deshalb teilweise an menschliche Formen erinnern, stärker als beispielsweise Mohn oder Tulpen. Mich interessieren solche Übergangserscheinungen, Formen, die an etwas anderes erinnern, Formtypen, die sich in den unterschiedlichsten Kontexten wiederfinden lassen.

Esther Niebel: Orchideen haben eine starke Farbigkeit und duften intensiv. Blüten generell und Orchideen ganz besonders, stehen für Sinnlichkeit, Fortpflanzung und damit für den Keim des Lebens. Siehst du auch hier eine Parallele zu deinen Skulpturen?

Agnes Lammert: Fruchtbarkeit, Werden und Vergehen sind Themen, die mich in meine Arbeit immer wieder beschäftigen. Bei Pflanzen treten diese Phänomene zyklisch auf und bringen sich in ihrer Lebendigkeit immer neu hervor. Ich sehe diese Lebendigkeit in meiner künstlerischen Praxis am ehesten im Akt des Modellierens.

Esther Niebel: Du modellierst Stoffe und Faltenwürfe. Meist hat man den Eindruck, dass die Stoffe einen Körper umhüllen, wenn auch die konkrete Form im Unklaren bleibt. Wie viel Körper und wieviel Umhüllung willst du zeigen?

Agnes Lammert: Tatsächlich ist für mich die Umhüllung und Faltung ein Weg, der Körperlichkeit näherzukommen. Durch das Verbergen der Form hinter und unter Falten wird die leibliche Dimension im Grunde nur verstärkt, gerade weil eine klare Morphologie nicht mehr lesbar ist. Meine Skulpturen sehe ich als ein körperliches Gegenüber, es geht mir um die Intensität ihrer räumlichen Präsenz.

Esther Niebel: Cattleya ist neben dem Ausstellungstitel auch der Name einer Plastik, die du in der Ausstellung zeigst. Die kleine Bronze scheint eine halb geöffnete Kapsel darzustellen, die sich aus Faltungen, die an zarte Haut erinnert, herausarbeitet. Was ist der Unterschied in der Darstellung von Stoff und von Haut?

Agnes Lammert: Ich sehe da viel Ähnliches. Stoff wie ich ihn einsetze ist im Grunde eine Verlängerung oder Erweiterung der Hautoberfläche und ermöglicht mir eine Form von der anatomischen Logik zu lösen, zu transformieren oder zu abstrahieren. Stoff, genau wie Haut, wirft, wenn er gequetscht wird, Falten, und zeigt, wenn er unter Spannung steht, die Energien die ihn bewegen. Beides sind Hüllen, deren Oberfläche viel über die darunterliegenden Formen und Kräfte verraten. Im Fall von Leder ist Stoff sogar aus Haut gemacht.

Esther Niebel: Unterscheidest du in deinen Plastiken inhaltlich zwischen Stoff und Haut, zwischen Organischem und Anorganischem?

Agnes Lammert: Nein, zumindest im Moment nicht. Eher bin ich auf der Suche und angezogen von Wiederholungen organischer Formprinzipien in anorganischen Kontexten und umgekehrt. Aktuell beschäftigt mich sehr das Thema Höhle. Ich finde Entsprechungen in Körperinnenhöhlen und Felsgrotten und sehe sich Gleichendes in endoskopischen Bildern wie in den Aufnahmen von Höhlenforschern, ebenso wie in Architekturen oder Science Fiction Bildwelten. Das fließt alles in meine Prozesse mit ein. Im Grunde bin ich dabei aber immer auf der Suche nach einem bestimmten Körpergefühl, oder einer Atmosphäre, die sich zu einer plastischen Idee verdichtet.

Esther Niebel: Nach welchen Kriterien entscheidest du dich für ein Material aus dem du deine Plastiken formst beziehungsweise modellierst?

Agnes Lammert: Ich modelliere meine Plastiken immer in weichem Material, meist Ton. Wird Ton feucht gehalten, bleibt er weich, das gibt mir die Möglichkeit, mich sehr lange und intensiv der Formfindung zu widmen. Anschließend fertige ich ein Negativ an und gieße die Skulptur in dem Material, das mir jeweilig am passendsten erscheint: Beton, Wachs, Gips, Kunststoff, Bronze. Am wichtigsten ist mir dabei, dass das Material wie auch dessen Farbe die Form unterstützen, sich also nicht zu sehr in den Vordergrund spielen. Wachs zum Beispiel ist weich und organisch, Beton massiv, Metall kühl und wertig- je nach Skulptur kann ich so den einen oder anderen Aspekt betonen.