Von der Idee zum Bild

Elena Kozlova im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Bei unserem letzten Interview 2015 haben wir festgestellt, dass deine Art zu malen weder figürlich noch abstrakt ist, sondern vielmehr irgendetwas dazwischen. Dadurch bekommen deine Bilder auf den ersten Blick etwas nicht erfassbares, da der Wiedererkennungswert zunächst nicht bedient wird. Ich würde sagen, dass sich das in letzter Zeit etwas geändert hat. Eine Bildserie der aktuellen Ausstellung zeigt den Gekreuzigten, also ein durchaus figuratives Motiv. Allerdings ist der Bildhintergrund nicht figürlich. Jesus scheint wie aus einer Flüssigkeit aufzutauchen, eine konkret definierte Insel in einem fremden Element. Wie kommt es, dass du dich mit dem Thema des Gekreuzigten beschäftigst? Reizt dich das Thema primär inhaltlich oder formal? Ist die Beobachtung richtig, dass du die Jesusfigur in ein fünftes,  nicht definiertes Element versetzt hast?

Elena Kozlova: Mich interessiert primär das Phänomen des Glaubens. Die Religionen überdauern die Jahrhunderte. Trotz dass sich der Zeitgeist, Staatsformen und der Lebensstil ändern, bleibt die Sehnsucht zu glauben konstant. Zu glauben, dass es etwas jenseits des Materiellen, des Fassbaren gibt, scheint für mich ein menschliches Bedürfnis zu sein. Ich würde es als Wunsch nach dem Geistigen bezeichnen. Es soll mehr geben als nur das, was wir sehen und anfassen können. Ich bin christlich geprägt und kenne mich deswegen mit der abendländischen Tradition besser aus als mit den anderen Religionen, aber ich stelle durchaus starke Parallelen auch zu den anderen Kulturkreisen fest. Die Jesusfigur ist in der Dreifaltigkeit etwas, was darstellbar ist. Der Heilige Geist wird zwar durch eine Taube symbolisiert, aber es bleibt nur ein Symbol, nur eine Hilfestellung, stellvertretend für das Nichdarstellbare. Auch Gott Vater ist eher eine seltene Erscheinung in den christlichen Bildern, denn die Menschwerdung findet durch die Jesusfigur statt. Und somit haben wir in der Dreifaltigkeit die Jesusfigur als wirklich darstellbare Einheit. Für mich ist es spannend, wie man mit den Mitteln der Malerei etwas darstellen kann, was keine konkrete Vorstellung besitzt, etwas Vages, etwas nicht Definiertes. Somit kommt für mich auch der Raum nicht als eine Kulisse oder Bühnenbild in Frage. Wenn man von der christlichen Annahme ausgeht, dass Gott überall ist, dann stellt sich für mich die Frage, wie kann man mit bildnerischen Mitteln dieses „Überall“ darstellen. Es kann nicht konkret sein, nicht im Hier und Jetzt. Es kann nur als Auflösung eines konkreten Raumes gedacht werden, als Zersetzung auf molekularer Ebene in Farben, Punkten und Linien.

Ausstellungsansicht ANMUTUNG

Esther Niebel: Im Zuge der Ausstellungsvorbereitung, als mehrere Abbildungen des Gekreuzigten bei dir im Atelier nebeneinander hingen, ist mir aufgefallen, dass die Körperhaltung an eine Ballerina erinnert. Die weit geöffneten Arme und vor allem die gespitzten Zehen lösen diese Assoziation aus. Was ich bei dieser Beobachtung interessant finde ist, dass diese Ähnlichkeit normalerweise nicht auffällt. Erst in der Wiederholung oder durch den Wegfall des Bildkontextes wird die Körperhaltung in ihrer Besonderheit offensichtlich. Ist diese Beobachtung nur eine witzige Anekdote oder steckt da mehr dahinter, vor allem in Bezug auf dein Oeuvre?

Elena Kozlova: Ich habe verschiedene Darstellungen von den Gekreuzigten gesammelt, meistens galt mein Interesse im Besonderen der skulpturalen Ausführung in Holz und Stein. Diese Skulpturen berühren mich sehr. Durch die Zeit hat der geschundene Körpers noch mehr eingebüßt. Es fehlt mal ein Arm oder ein Bein. Durch das Fehlen des Kreuzes verliert die Darstellung den ursprünglichen Gewaltcharakter und bekommt etwas mehr vom Fliegen oder Tanzen, es gewinnt an Leichtigkeit und somit mehr von der Idee der Auferstehung. Es ist ein Streben, eine Bewegung, ein nach oben gerichteter Blick.

Esther Niebel: Ein weiteres, bei dir mehrmals auftauchendes Bildmotiv ist der Raum. Das ist ja zunächst nichts ungewöhnliches, insofern das Interieur ein eigenständiges Genre in der Malerei ist. Damit haben deine Räume aber nicht viel zu tun. Deine Räume sind denkbar unkörperlich, sie definieren mehr eine Ausdehnung, als dass sie Träger oder Aufbewahrungsort von Innenausstattung wie Möbeln, Bücher, Bildern etc. sind. Man muss irgendwie an Matrix denken, an einen virtuellen, kosmischen oder ideellen Raum. Was willst du darstellen?

Elena Kozlova: Einen virtuellen, kosmischen Raum. Daran hat sich auch in den Jahren nichts geändert. Es ist noch immer der Wunsch und ein Versuch das Undarstellbare darzustellen.

Esther Niebel: Geht es dir eigentlich mehr um Malerei an sich und ihre Möglichkeiten der Darstellung oder um die Auseinandersetzung mit einem Thema?

Ausstellungsansicht ANMUTUNG

Elena Kozlova: Ich bin mir nicht sicher, ob man es trennen kann. Ich vermute mal, dass mich automatisch nur die Themen interessieren, die einen Schwierigkeitsgrad bei der Darstellung per se beinhalten. Noch ein Zyklus in der Ausstellung heißt Lumen. Es geht um Licht. Wie stellt man Licht dar? Irgendwie hat jeder so eine Vorstellung, aber mich interessiert eben nicht die Lampe sondern das Licht, sein Geheimnis und seine Schönheit.

Esther Niebel: Früher habe ich immer halb im Scherz gesagt, es brauche russische Winter und die sich daraus ergebende Geduld, um arbeitsintensive Bilder wie deine zu schaffen. In der Zwischenzeit hast du mir erzählt, dass du „Krieg und Frieden“ von Tolstoi sieben Mal gelesen hast. In dieser Information steckt natürlich noch viel mehr drin, um deine Bilder zu erklären: Geduld, Ausdauer, Präzision, Hingabe und schließlich eine Mysthische Spiritualität. Kannst du diesem Erklärungsansatz folgen?

Elena Kozlova:  Durchaus. Der Glaube in Russland ist mysthisch. Wir glauben an Wunder, wir glauben an viele Sachen, die hier zulande vielleicht auch im Zuge der Aufklärung fremd erscheinen mögen. Und auch wenn ich vieles analysieren und reflektieren kann, bin ich ein Kind meiner Kultur und unterliege ihren Einflüssen. Ich bin damit so verwurzelt, dass es einem für immer erhalten bleibt. Ich denke insgesamt, die Erlebnisse, die man als Kind hat, prägen am stärksten. Mein Opa hat einmal auf eine Ikone gezeigt und meinte: „Benimm dich, der schaut zu.“ Es ist seltsam, aber ich wusste danach, dass ich nie alleine bin. Und diese moralische Instanz und Präsenz ist durchaus real. Ich habe als Kind auch strengere Schelte bekommen, aber geprägt hat mich der Satz von meinem Opa.

Esther Niebel: Der Titel der aktuellen Ausstellung heißt ANMUTUNG. Definiert wird die Bedeutung von Anmutung als ein gefühlsmäßig, unbestimmtes Eindruckserlebnis. Das ist so vage und unkörperlich wie deinen Räume. Verflüchtigen sich deine Bildthemen, wie der Titel?

Elena Kozlova: Es sind die Räume, die sich verflüchtigen, es sind die Lichter, die keine konkreten Grenzen haben, es sind die Jesusfiguren, die im Auflösen begriffen sind, es sind die Porträts, die vage sind. Es ist ein Jonglieren zwischen Präsenz und Absenz. Es sind stark spiegelnde Bilder, die sich mit jedem Lichtfall und mit jeder Bewegung ändern. Du siehst es und du siehst es nicht. Es ist eine Offenbarung, wenn sich dir etwas zeigt.