Von der Idee zum Bild

Barbara Navi im Interview mit Esther Niebel

Esther Niebel: Mit der Ausstellung ELEMENT stellst du das erste Mal in Leipzig in der Galerie The Grass is Greener aus. Sigrid v. Lintigs Bilder stehen für mich hier stellvertretend für das Element des Wassers, deine Bilder für das Element der Erde. Das liegt daran, dass du viel mit erdigen Brauntönen arbeitest und es in deinen Bildern um Erinnerung und um Raum und Zeit geht. Assoziierst du Erinnerung mit der Farbe Braun?

Barbara Navi: Ich arbeite seit einigen Jahren an dem Thema der Wanderschaft und des Heimatverlustes. Deshalb ist der Mythos von Babel in meiner Malerei omnipräsent. Die Sehnsucht nach verlorenen Landschaften, die Auflösung vertrauter Orientierungspunkte, das Exil be- dürfen einer intensiven Auseinandersetzung mit Erinnerungen. Meine Malerei versucht die Erfahrung des abwesenden Landes wiederherzustellen. Braun- und Ockertöne übersetzen diese emotionale Beziehung zur Vergangenheit. Ich verwende jedoch auch häufig kalte Farben. Die Erde ist in meiner Malerei im- mer mit Wasser verbunden; das erklärt die wässrigen Konturen und die Auswirkungen des Verfalls.

Esther Niebel: Primär ist es aber nicht die Farbigkeit, die für mich die Assoziationen von Raum und Zeit hervorrufen. Auffällig in deinen Bildern sind die unterschiedlichen Größendimensionen. Große Gegenstände treffen auf kleine Menschen oder umgekehrt. Man denkt an Kindheitserinnerungen, an ein Bewusstsein und die Wahrnehmung der Welt, die von dem eines Erwachsenen verschieden ist. Wie kommst du zu der Auswahl deiner Bildthemen? Was willst du ausdrücken?

Barbara Navi: Ja, es gibt Variationen der Größenverhältnisse in meiner Malerei, die eine Disproportion und die Fremdheit unserer Präsenz in der Welt ausdrücken. Es gibt einen deutschen Begriff, der dieses Gefühl des Fremdseins ausdrückt: „Das Unheimliche“. Diese Erfahrung der Fremdheit gegenüber der Welt ist uns aus unserer Kindheit bekannt, wenn unsere Vorstellungskraft noch aktiver arbeitet. Aber sie ist nicht nur in der Kindheit vorhanden, sondern kann auch durch unerwartete Ereignisse hervorgerufen werden. Es ist diese Art von seltsamen Geschehnissen, mit denen ich mich in meiner Malerei beschäftige, Geschehnisse, für die wir keinen Namen haben und die wir nur schwer erklären können.

Esther Niebel: Und immer wieder taucht das Motiv des Fensters auf in deinen Bildern. Es scheint weniger ein Fenster nach draußen, als ein Fenster in eine andere Welt, eine Phantasiewelt zu sein. Oder auch als Metapher für die eigene, innere Welt und deren Realität. Welche Bedeutung hat das Fenster für dich?

Barbara Navi: Das Fenster ist eine klassische „mise en abyme“-Metapher (Bild im Bild), die es mir ermöglicht, zwei heterogene Realitäten gleichzeitig darzustellen. Du hast Recht, es ist nicht unbedingt eine Öffnung nach außen, sondern eine Öffnung zu einem imaginären Anderswo, eine Reise nach innen. Manch- mal ist es dieses Fenster, das die Hoffnung und den Ausbruch in eine gewünschte utopische Realität ermöglicht.

Esther Niebel: In der aktuellen Ausstellung ELEMENT stellst du gemeinsam mit Sigrid v. Lintig aus. Inwiefern ergänzt beziehungsweise unterscheidet ihr euch thematisch und in Bezug auf die bildliche Umsetzung?

Barbara Navi:  Ich denke, dass der gemeinsame Punkt unserer bildlichen Ausdrucksweisen die Prüfung des Übergangs von einem Element zum anderen ist. Was uns unterscheidet, ist die Art der Hindernisse und Widerstände, auf die wir dabei stoßen. In Sigrids Fall ist dieses Hindernis die Oberfläche des Wassers selbst und der Widerstand, den das Wasser dem Körper entgegensetzt. Wie der Philosoph Bachelard sagt, ist die Erde das Element, das unseren Bemühungen um Transformation den größten Widerstand entgegensetzt. Deshalb scheint das Wasser in Sigrids Malerei paradoxerweise eine erdige Dimension zu besitzen. Wenn die Wasseroberfläche scheinbar klar ist, scheinen die eingetauchten Körper von einer formlosen Materie umhüllt zu sein. Auf der anderen Seite hat man bei den Tauchbildern den Eindruck, dass es sich um einen gläsernen Schild handelt, der in tausend Splitter explodiert. In meiner Malerei tasten wir uns durch eine seltsame Realität, die manchmal einem Traum ähnelt. Es gibt eine wässrige und bewegte Dimension des Motivs, auch wenn seine scheinbare Realität irdisch ist.