Esther Niebel: Schon bei deiner letzten Ausstellung MAN KÖNNTE EWIG hast du angefangen, dich von Fotovorlagen zu lösen und dich dem lebenden Modell beziehungsweise direkt vorhandenen Gegenstände zuzuwenden. Was für einen Unterschied macht es, ein reales Objekt zu malen oder die Vermittlung einer Fotografie zu Hilfe zu nehmen? 

Friedrich, 150 x 110 cm, Öl auf Leinwand, 2020

Julian Plodek: Es sind völlig unterschiedliche Wahrnehmungsprozesse. Sitzt ein Modell vor mir, verändert es sich ständig. Irgendwann verlässt es sogar den Raum. Das, was ich gemalt habe kann ich nicht ständig abgleichen. Ich muss akzeptieren, was ich in einer bestimmten Zeit und im Rahmen meiner Fähigkeiten aufgenommen habe. Das empfinde ich als Befreiung. Es gibt beim Malen nur das Jetzt. Die physische Präsenz der Modelle und der Gegenstände überträgt sich so ganz unmittelbar auf die Leinwand. Die Realität quillt über vor Informationen, daher zwingt sie mich ständig Entscheidungen zu treffen. Die fotografische Vorlage liefert da immer schon eine vorgefertigte Lösung und entspricht damit auch nicht der menschlichen Wahrnehmung. Eine Fotografie hat per se eine eingeschränkte Perspektive und konstruiert Räumlichkeit anhand eines Fluchtpunktes. Dabei unterscheidet sie nicht zwischen wichtig und unwichtig, filtert nicht wie es unser Gehirn tut. Diese Prägnanz, die unser Gehirn ständig unserem Sehprozess mitliefert fehlt der Fotografie, die damit letztlich distanziert bleibt. Mich störte es schon immer, dass etwas zwischen mir und dem lag, was ich malen wollte.  Etwas, das mich daran hinderte genauer hinzusehen. Bei Zuhilfenahme von Fotografien hatte ich immer das Gefühl, etwas hinzufügen zu müssen, um die Realität zurück in die Fotografie zu holen. Es hat mich nie interessiert fotorealistisch zu malen.  Ich will schließlich nicht eine Fotografie zum Gegenstand meiner Malerei machen, sondern die von mir wahrgenommene Realität, das Motiv selbst. Wenn ich Menschen aus meinem Umfeld ins Atelier einlade und male, stelle ich mich ganz bewusst in eine bestimmte Tradition. Ich bin überzeugt, dass eine Malerei, die sich auf diese direkte Weise an der Wahrnehmung reibt und am Gegenstand entlang orientiert auch lebensnahe und selbstverständlich zeitgenössische Bilder schafft. Diese Bilder sind weder  nostalgisch noch transportieren sie irgendwelche konstruierte Bildwelten, die auf irgendetwas anderes verweisen, das nichts mit dem Dargestellten zu tun hat.

Ausstellungsansicht FIGURES & FACES

Esther Niebel:Du hast einmal gesagt „Die Welt verfällt ständig, alles glatte ist ein Gegenentwurf. Ich mag Malerei, die diese Patina des Zerfalls transportiert.“ Was genau meinst du mit dieser Aussage? „Welt“ in diesem Zusammenhang ist ja eine Übergeordnete Kategorie? Die geologische Welt altert und zerfällt, da ist sich die Wissenschaft wohl einig. In der jetzigen Ausstellung zeigst du aber keine Landschaften. Du malst Birnen -  jetzt, später und noch später. Da kann man als Betrachter ganz klar einen Prozess des Verfalls oder Verfaulens nachvollziehen. Auch bei dem Porträt, das du von mir gemalt hast, kann ich deiner These zustimmen: ich verfalle äußerlich, ganz klar, bei den vielen Stunden die ich lesender-weise versucht habe still zu sitzen, und ebenso innerlich, da muss ich nur an die Rücken- und Schulterschmerzen denken, die sich nach einiger Zeit einstellten. Nicht klar ist mir allerdings deine Aussage zum Beispiel in Bezug auf das Bild deines kleinen Sohnes. Ganz kurz nach der Geburt geht man doch davon aus, dass er zunächst in der Welt ankommt und gedeiht und nicht gleich zerfällt.

Esther, 40 x 30 cm, Öl auf Leinwand, 2020

Julian Plodek:Deine Frage suggeriert, es ginge mir um die Darstellung und Hervorhebung irgendwelcher Zerfallsprozesse. Das ist nicht der Fall. Ich finde es regelrecht verrückt  und falsch das Bild von Alexa und Anton in dieser Weise betrachten zu wollen.Auch bei den drei Bildern von den Birnen, geht es mir nicht um die Dokumentation eines Prozess des Verfaulens. Ein solches Vorhaben könnte man besser fotografisch umsetzen, die Malerei ist da ein eher ungeeignetes Mittel. Ich habe die Birnen gemalt, weil sie da lagen und schön waren und immer noch schön waren - das wollte ich zeigen. Im übrigen bin ich der Meinung, dass es gerade nicht die geologische Welt ist, die altert und zerfällt, dort würde ich von Veränderungen sprechen. Es sind die Lebewesen, unsere Bauwerke und Gegenstände, die altern, sterben und verfallen. Deine Frage zielt hier auf irgendeine geistige Dimension ab, die meinetwegen unsterblich ist, aber das ist nicht Gegenstand meiner Arbeit. Ich habe nie gesagt, dass ich mich für eine „Patina des Zerfalls“ interessiere, so etwas käme mir nicht in den Sinn. Ich sprach davon, dass ich mich mehr und mehr für eine Malerei interessiere, die schon eine gewisse Patina mit sich bringt und ich überlegte weiter, ob nicht das eingestaubte und zerkratzte Auto am Straßenrand eine viel größere Wahrheit in sich birgt, als die perfekte, glatte Hochglanzästhetik des ständig Neuen, die, wie es mir vorkommt, Ewigkeit und Beständigkeit vorgaukelt in einer im ständigen Verfall begriffenen Welt. Daraus kann man aber nicht ableiten, ich würde mich mit der Darstellung oder Thematisierung von Zerfallsprozessen beschäftigen, schon gar nicht auf einer Metaebene. Ich fragte mich hier lediglich als Maler und als Realist wann und warum die Dinge authentisch oder wahr erscheinen und wann nicht. Wenn ich von Patina spreche, dann meine ich die Spuren und Anzeichen, die über die Menschen und Dinge hinaus weisen und sie als Teil dieser Welt offenbaren, sie räumlich und zeitlich verorten. Das sind das gelebte und nicht gelebte Leben, die Umgebung, die Umstände, die Liebe, der Hass, die Wut, die Trauer, die Bedrückung. All das muss nicht direkt im Bild sein aber es sollte sich vermitteln, durch den Glanz auf der Haut, die Feuchtigkeit in den Augen, den Staub in den Ritzen, die Falte im Stoff, das Licht, das durch das Fenster fällt. Es ist nicht mehr aber auch nicht weniger. Ich möchte alles so malen wie es ist, oder zumindest so wie es mir erscheint, frei von kosmetischen Eingriffen oder stilistischen Verformungen, so gut ich kann. Ich möchte keine zerfallenden Hüllen malen, sondern Lebendiges.

Birnen 27 x 30 cm, Öl auf Leinwand, 2019 | Birnen später, 30 x 35 cm, Öl auf Leinwand, 2019 | Birnen viel später, 25 x 27 cm, Öl auf Leinwand, 2019

Esther Niebel: Als Malerei sich vor der Renaissance noch ausschließlich mit religiösen Themen befasst hat, kann die Feststellung des Zerfalls der Welt keine Implikation auf die Malerei gehabt haben. Es wurde nicht die Welt dargestellt, sondern das was nicht von dieser Welt ist. Der klassische Goldgrund, der sich jenseits eines Raumes oder eines Interesses für den Raum befindet, veranschaulicht das. Auch das Zeitliche spielt hier keine Rolle, da es ja um Zeitloses, um Ewiges, in der religiösen Darstellung geht. Du aber interessierst dich in deiner Malerei genau für das: etwas pauschal ausgedrückt für Raum und Zeit. Wann und warum, würdest du sagen, hat sich kunsthistorisch der Blick gewandelt? 

Fuß, 40 x 30 cm, Öl auf Holz, 2019

Julian Plodek:Ich bin kein Kunsthistoriker, aber vielleicht waren im Mittelalter Vergänglichkeit und Tod so präsent, dass zu jener Zeit die Kunst der Vermittlung von Hoffnung dienen sollte und musste. So gesehen hätte die Präsenz von Tod und Vergänglichkeit sehr wohl eine Implikation auf die Malerei, eben eine Religiöse.Zu meiner Empfindung, dass die Hochglanzästhetik, die den uns heutzutage umgebenden Produkten und Fassaden (auch den menschlichen) verliehen werden, ein verzweifelter Versuch sei, Beständigkeit und Ewigkeit zu suggerieren, ergibt sich eine interessante Parallele zum glitzernden Goldgrund. Allerdings nur oberflächlich betrachtet, denn die Religiosität in diesen Bildern wirkt erschütternd echt, eine Authentizität, die sich heute nicht mehr einstellen will. Daher rührt vielleicht auch mein Bedürfnis die Menschen direkt vor mir zu haben, denn ich merke, je länger sie sitzen, desto authentischer - ich wollte fast sagen normaler - wirken sie auf mich.

Esther Niebel: Alle von dir porträtierten Personen sind Menschen deines persönlichen Umfelds. Wie wichtig ist es, dass du die Menschen kennst, die du malst? Inwiefern fängst du beim Porträtieren auch den Charakter einer Person ein?

Sophia, 105 x 75 cm, Öl auf Leinwand, 2018

Julian Plodek: Es ist wichtig, dass mir die Personen, die mir Porträt sitzen vertraut sind, denn die Menschen, die ich male, halten mich aus und ich halte sie aus. Wie soll ich wissen, wie ich den Charakter einer Person einfange? Ich denke nicht an solche Dinge beim Arbeiten, ich füge dem Bild nichts hinzu. Wenn ich male vereinnahme ich meine Modelle in einer egoistischen Art und Weise. Es geht nur um mich und das Bild. Man könnte von Missbrauch sprechen. Wie könnte ich da ihre Charakter einfangen? Es ist doch mein Bild von Ihnen.

Esther Niebel: Was interessiert dich ganz generell an deinen Motiven? Was reizt dich dabei bei der malerischen Umsetzung?

Julian Plodek: Mit dem Wort „generell“ habe ich ein bisschen Schwierigkeiten, als gäbe es das Eine, das Übergeordnete. Was interessiert einen Maler? Farben, Formen, Menschen, Liebe, Butter? Einerseits ist das Malen nichts anderes als Umsetzung, andererseits male ich nicht, um zu transformieren, damit etwa eine tieferliegende Wahrheit herausgearbeitet wird. So als kenne ich ein Geheimnis, als wüsste ich etwas besser. Ich male, um etwas zu zeigen, das selbst erst beim Malen entsteht. Malerei hat für mich erst einen Wert, wenn sie etwas gleichzeitig ist: Farbklang und Nasenschwung, Raumillusion und Flächigkeit, Einfach und Vielschichtig. Ich hoffe das ist verständlich, es fehlen mir hier vielleicht die richtigen Worte - ich liebe Malerei.

Butter, 34 x 39 cm, Öl auf Leinwand, 2018