Es ist alles da: übervoll, überbordend, überquellend. Aber die Fülle ist geordnet, wohlüberlegt, sie ist kein Chaos, kein Tohuwabohu. Und auch wenn das Auge zunächst überwältigt ist, weil es so viele Angebote bekommt, legt sich die Orientierungslosigkeit, sobald man als Betrachter Mut gefasst hat. Der Entdeckergeist und -wille, der notwendig ist, um sich gegen die scheinbar willkürliche Fülle der Bilder zu behaupten, wird belohnt. Da ist ein leiser Rhythmus, gleichsam ein Takt, der ordnet, in Form bringt und allen Dingen, Steinen, Pflanzen, Tieren und Menschen einen Platz zuweist. Ihnen sagt, ob sie für sich alleine stehen, interagieren, melancholisch oder komisch sind. Bienen, Totenschädel, Mädchen, Vögel, Blumen, Blätter und Fische und immer wieder Fische. Alle wirken sie mit an der großen Choreografie des Lebens.

Der Entdeckergeist und -wille, der notwendig ist, um sich gegen die scheinbar willkürliche Fülle der Bilder zu behaupten, wird belohnt.

Esther Niebel

Und am Anfang war das Spiel: das Mineralische, das Pflanzliche, das Tierische und das Menschliche ist im Gleichgewicht, es interagiert, es schafft, es zeugt, es zerstört. Selbstbewegung ist der Grundcharakter des Lebendigen überhaupt. Ist das Lebendige ausgewogen, so beschränkt, fördert und erzeugt es sich selbst und die Protagonisten sich gegenseitig. Da wird selbst der Tod, ein Totenschädel, Fleisch, das zur Nahrung dient, schön, da es notwendiger Teil des Lebens ist. Jeder und Jedes ist Spieler, Mitspieler und Gegenspieler, so auch der Betrachter der intuitiv sich als Teil des Ganzen fühlt und in das Spiel mit hineingezogen wird. Aber vergessen wir das Spielerische nicht. Denn immer wenn es ernst wird, bedeutungsschwanger, kommt ein kleines Augenzwinkern: mal schwimmt eine kleine Giftflasche durch die schwere, schwarze See, mal gibt es eine unverhofft komische gymnastische Übung oder ein Haifisch bekommt Kunst-Haifischzähne, die ihn zur Karikatur seiner selbst mutieren lassen.

„Rose is a rose is a rose is a rose“ 2. Der Fisch ist ein Fisch ist ein Fisch und ist doch mehr als ein Fisch. Die Biene ist nicht nur ein Tier, das sich zoologisch abbilden und beschreiben lässt. Sie wird mit Fleiß assoziiert, sie sammelt Honig, fliegt von Blüte zu Blüte. Bei dem Kirchenvater Ambrosius wird sie zum Symbol der honigsüßen Sprache. Auf die vier Elemente bezogen symbolisiert die Biene das Feuer, der Fisch das Wasser, der Schmetterling die Luft und die Schlange die Erde. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Symbol bezog sich auf eine Erinnerungsscherbe. Zwei Menschen, die getrennt wurden, behielten je einen Teil der Scherbe bei sich, um sich des anderen zu erinnern. Nur gemeinsam konnten sie die Scherbe wieder zu einem Ganzen machen. Also kann man sagen, dass das was die sinnliche Erscheinung ausmacht, was man sehen, hören und riechen kann, untrennbar mit der geistigen Ebene, die sich nicht sofort offenbart, verbunden ist. Dennoch ist diese Ebene permanent präsent, bewusst oder unbewusst. Das ist der Nexus, der alles verbindet, der tief eingepflanzt ist und das gegenständliche Sehen mit dem geistigen sich orientierend verbindet.

Das ein oder andere Fragment wird in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt, wird anekdotisch oder surreal. Ein andermal besteht die neue Freiheit des Schnipsels einfach in der Schönheit an und für sich.

Esther Niebel

„Wenn etwas mit der Erfahrung des Festes verknüpft ist, dann ist es dies, dass es jede Isolierung des einen gegenüber des anderen verweigert. Das Fest ist Gemeinsamkeit und ist die Darstellung der Gemeinsamkeit selbst in ihrer vollendeten Form. Fest ist immer für alle.“ 3
Das Fest ist die Überhöhung und damit die Herausnahme aus dem Alltäglichen, das Fest steht für sich selbst und ist nicht zweckgebunden. Das Fest ist zeitlich begrenzt und dennoch entsteht die Zeitordnung historisch gesehen erst durch die kalendarische Wiederkehr der Feste. Somit bekommt das Fest eine Doppelbedeutung in Bezug auf das Zeitliche: zum einen steht es für die ewige Wiederkehr, die Wiederholung, zum anderen für ein zeitliches Kontinuum, für den linearen Zeitbegriff, der ein Anfang und ein Ende kennt und damit die Spur der Dialektik in das Paradies schlägt.

Zunächst ist Elisabeth Ehmann Jägerin und Sammlerin. Sie ist auf der Suche nach Quellen, nach Vorlagen, nach Elementen, die ihr interessant erscheinen und die es verdient haben, ein neues Leben zu beginnen: Naturdarstellungen von Ernst Haeckel, Werke von Picasso und Matisse, ägyptische, griechische und etruskische Skulpturen, Gymnastinnen nach Art des Monte Verità, Alice im Wunderland, Momos schwarze Männer, die ganze Botanik und Tierwelt des Alexander von Humboldt, Schnipsel aus Modemagazinen, Kochbücher, alles wird aus seinem funktionalen Kontext genommen und verarbeitet. Das ein oder andere Fragment wird in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt, wird anekdotisch oder surreal. Ein andermal besteht die neue Freiheit des Schnipsels einfach in der Schönheit an und für sich. Damit unterscheiden sich die Kollagen von Elisabeth Ehmann von denen der Surrealisten oder Dadaisten. Es sollen keine dunklen Bilder evoziert werden, keine paradoxen archaischen Urbilder entstehen. Elisabeth Ehmann vermittelt mit ihren Bildern das Bewusstsein, dass die Natur und der Kosmos größer sind als sie. Weder sie noch der Betrachter können diese wirklich erfassen und manchmal ist es das Weiseste einfach der Schönheit zu lauschen.

Zum Titel: Spiel, Symbol und Fest sind Grundkategorien, die Hans Georg Gadamer in Die Aktualität des Schönen in Bezug auf Ästhetik und Kunst untersucht.

2: aus Gertrude Stein, Sacred Emily, 1913

3: siehe H.-G. Gadamer in Die Aktualität des Schönen, Reclam, Stuttgart, S. 52